Identität zwischen Eindachhaus und Moderne – oder: die Suche nach der Schwarzwälder Baukultur

Schreiben über den Schwarzwald und gleichzeitig über den Tellerrand schauen – einmal mehr ein Abschied von Klischees. Über die Architektur im Schwarzwald soll es gehen. Typisches Kennzeichen: der Eindachhof. Mensch und Tier, Stall und Wohnräume, sie alle sind unter einem großen Walmdach untergebracht. Oder? So war es zumindest früher. Und wie sieht es heute aus? Wie baut ein Bauherr in einer Schwarzwälder Gemeinde sein Eigenheim, wenn es „typisch Schwarzwald“ sein soll? Kann nicht so schwer sein, das herauszufinden. Dachte ich. Aber es war gar nicht so einfach, die Suche nach der Schwarzwälder Baukultur…

schwarzwaldhaus vogtsbauernhof

Der Schwarzwaldhof, wie man ihn kennt. Dieser hier steht im Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof http://www.vogtsbauernhof.de

Wenn Sie heute über unsere Schwarzwaldhöhen fahren, können Sie in Neubaugebieten nicht mehr erkennen, ob das ein Schwarzwalddorf ist oder ein Ort in Hessen oder sogar in Norddeutschland“, sagt Christian Lehmann, Holzbauer und Preisträger des Architekturpreises Baukultur Schwarzwald in einem Interview 2011. Auch Eckhard Bull, damals Vorsitzender des Kammerbezirks Freiburg der Architektenkammer Baden-Württemberg drückte sich in seinem Vorwort zu obigem Architekturpreis ähnlich aus: „Die Baukultur des Schwarzwalds zeigt sich wenig zeitgemäß und zukunftsorientiert. Auch ist kein regionales Profil erkennbar.

Baukultur ohne regionales Profil
Damit hatte ich nicht gerechnet – haben wir nicht in der Grundschule schon die Sache mit dem typischen Schwarzwaldhof gelernt, alle unter einem Dach und so. Er prägt doch auch heute noch das Landschaftsbild, wenn man über die Berge des Schwarzwalds fährt, das ist doch typisch Schwarzwald, oder? Ja, aber nicht mehr zeitgemäß, gebe ich mir selbst die Antwort. Der Eindachhof war für die damalige Landwirtschaft konzipiert. Auch diese hat sich weiterentwickelt und überhaupt: es gibt ja nicht nur Landwirtschaft im Schwarzwald, wie baut denn ein „normaler“ Bauherr heutzutage sein Schwarzwald-Eigenheim? Ein weiteres Vorwort von Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg zu obigem Preis 2016 fällt mir dazu in die Hände: „Der Schwarzwald repräsentiert als einer der idealisierten Sehnsuchtsorte das Bild Deutschlands von sich selbst und in der Welt. Insofern bewegt sich Baukultur hier in einem besonders spannenden Feld zwischen Idyll und Moderne, zwischen einer exponierten Landschaft, traditionellen Bauformen, handwerklicher Produktion einerseits und der harten Realität von ökonomischem Strukturwandel, heutigen Lebensformen und international vernetzter Architekturdebatte andererseits“.

bauwerkschwarzwald designconcepts

designconcepts hat das Corporate Design für bauwerk schwarzwald entworfen. http://www.designconcepts.de

Auf alten Strukturen aufbauen, um Neues zu entwickeln
Ein Spagat also – den auszuführen erfahrungsgemäß eine Herausforderung ist. Was ich ebenso lerne ist, dass es bei dieser architektonischen Turnübung nicht ausreicht, Altes zu kopieren, ganz im Gegenteil, „[…] diesen Verlust der früheren großen Bautradition versucht man vielerorts durch die klischeehafte Übernahme einzelner Versatzstücke des alten Bauernhauses zu ersetzen“, so Bull. Aha, kopieren ist also Kitsch. Vielmehr gehe es darum, alte Formen weiter zu entwickeln, darauf aufzubauen und Neues zu entwickeln, sagt mir Architektin Ruth Scheurer. Sie arbeitet beim Naturpark Südschwarzwald und ist verantwortlich für das Projekt bauwerk schwarzwald. Aktuell in der Gründung, soll es in Zukunft ein Dach für Schwarzwälder Baukultur, Handwerk und Design werden. Es soll also genau jenen Spagat schaffen: Bau- und Handwerkskultur fördern und eine Verbindung zwischen Tradition und Moderne, Architektur, Handwerk und Design, Forschung und Ausbildung, Experiment und Praxis schaffen. Im Frühjahr 2020 wird dieses Dach als Verein gegründet werden, wie Herr Schöttle, Geschäftsführer des Naturparks Südschwarzwald während der Abschlussveranstaltung des Projekts „Baukultur und Tourismus“ berichtet.

20191206_123154

Modernerner Neubau mit für den Schwarzwald traditioneller Schindelverkleidung. Vorgestellt im und von mir abfotografiert aus dem Magazin BAUART, Ausgabe 3, 2020. Das Originalfoto ist von Johannes Vogt, Mannheim.

Einsatz regionaler Ressourcen und heimischer Materialien
Hoch oben im Haus der Natur stattfindend, fahre ich Anfang Dezember dorthin, in der Hoffnung, Antwort auf die immer noch ungeklärte eine Frage zu finden: Wie sieht die heutige Schwarzwaldarchitektur aus, woran erkenne ich, dass ich im Schwarzwald bin und was für Elemente verwendet man, ohne, dass es Kitsch wird? Die Jury des oben genannten Architekturpreis gibt als Kriterien dafür Folgendes vor: Eine funktionsbegründete Gestalt nach heutigen Anforderungen, bestimmt vom Ort und der jeweiligen Nutzungsart, Nachhaltigkeit für alle Aspekte des Bauens sowie Klimagerechtigkeit. Der Einsatz regionaler Ressourcen, heimischer Materialien und örtlicher Handwerkskunst, Schaffung eines Umfeldes für ein soziales und kulturelles Zusammenleben, in dem Gemeinschaft und Verwurzelung entsteht. Ich hatte einige Gebäude im Internet und in Zeitschriften gesehen – und war nicht immer überzeugt. Viele der Neubauten schienen mir als Laien vor allem einfach Holzhäuser zu sein, sehr schön anzusehen. Aber standen die nicht so auch in anderen Regionen Deutschlands? Einzelne Elemente der Schwarzwälder Bautradition zu verwenden, scheint auch nicht immer ein Faux-pas zu sein. Die Verwendung von Schindeln zum Beispiel, findet sich immer wieder auch bei modernen Neubauten. Also doch kein Kitsch? Alles eine Sache des Betrachters?

gastgebermagazin

Das Gastgeber-Magazin mit guten Beispielen und Tipps für Fördermaßnahmen, auch für die Sanierung und den Erhalt von alter Bausubstanz.

Keine Kopiervorlage. Aber ein Ankerpunkt.
Der Abend im Haus der Natur gibt mir eine Antwort, nämlich, dass ich mit meinen Fragen nicht alleine bin. Und dass Baukultur als Teil der Schwarzwälder Identität sehr verschieden interpretiert werden kann. Der Tourismus sieht es anders als die Architekten, die eine andere Definition finden, als der Naturpark Südschwarzwald. Diana Wiedemann der Architektenkammer sprach während der Veranstaltung so auch von einer gemeinsamen Sprache, von der es unter den verschiedenen Akteuren schwer war, eine gemeinsame zu finden. Ich treffe dort auch Herrn Lehmann, jenen Holzbauer aus meinem Eingangszitat und auch er bestätigt mir, dass es DIE Schwarzwaldarchitektur – noch – nicht wieder gibt. Es ist ein Entwicklungsprozess, bei dem der Baustoff Holz als regionales Baumaterial eine große Rolle spiele.

weg wald

Auf den Weg gemacht. Regionale Baustoffe spielen dabei eine wichtige Rolle. Foto: Annika Burger

Es haben sich viele Akteure auf den Weg begeben, den Spagat zwischen Klischee und Moderne zu finden. Eine Aufgabe von baukultur schwarzwald wird sicher sein, diese Entwicklung voranzutreiben. Mein eigenes inneres Klischee im Kopf noch nicht ganz eliminiert, fand ich das Bild, das Herr Schöttle während seiner Ausführungen aufzeigte sehr hilfreich: Der Schwarzwälder Eindachhof sei „das Freiburger Münster des ländlichen Raumes“. Er sei keine Kopiervorlage. Aber ein Ankerpunkt.

———————-

PS: Wer jetzt schon als Gemeinde oder privater Bauherr Unterstützung sucht, kann sich an die Gestaltungsberatung im Naturpark Südschwarzwald wenden. Ein Team aus Fachleuten (v.a. Architekten und Zimmerern) stehen bei Fragen zur Verfügung, man kann sie für zwei Stunden für eine erste Beratung buchen oder aber ein ganzes Projekt mit ihnen durchziehen. Gastgebern kann das Naturpark Südschwarzwald Gastgeber-Magazin bauen, renovieren, einrichten empfohlen werden, mit guten Beispielen aus der Praxis und Tipps zu Fördermaßnahmen.

Mit dem Thema Baukultur im Schwarzwald hat sich mir ein Themenfass ohne Boden aufgetan. Allein das Thema Eindachhof als Kulturgut, das es zu erhalten, die immense ökonomische Herausforderung, die es dabei zu stemmen und die MENSCHEN, die es dabei mit einzubinden gilt, ist ein eigenes Thema für sich. Das -vielfältige- Verständnis für Architektur, regionale MODERNE Baukultur und die entsprechende Bewusstseinsbildung, z.B. im Vergleich mit der Schweiz ein weiteres. Und auch die vielen spannenden regionalen Akteure auf dieser Bühne sind eigentlich jeweils einen eigenen Artikel wert.
Für heute jedoch ist Schluss, nachfolgend noch der ein oder andere weiterführende Link:

 

Hinterlasse einen Kommentar