Vielfalt auf jeder Ebene – Chance Nebenerwerb? Im Gespräch mit Landwirt Dr. Frank Krumm

Dr. Frank Krumm ist Mitglied der Arbeitsgruppe Regionale Landwirtschaft Südbaden, Mitarbeiter an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft sowie Landwirt im Nebenerwerb in Binzen. Ich durfte ihn mit meinen Fragen zum Thema Nebenerwerbslandwirtschaft löchern: Ein Einblick in Sinn und Unsinn von Fördertöpfen, die vielschichtige Bedeutung von Nebenerwerbslandwirten und ihre Antriebe das zu tun, was sie tun.

Herr Krumm, in Baden-Württemberg sind 60% der Landwirte solche im Nebenerwerb. Wenn man im Netz recherchiert, liest man trotzdem immer wieder, dass Nebenerwerbslandwirte von ihren Kollegen im Vollerwerb oft nicht ganz ernst genommen werden. Ist das noch aktuell? Woran liegt das?

Dem würde ich voll zustimmen. Die Begründung ist wohl mehrschichtig. Ein Grund ist, dass der Nebenerwerbslandwirt nicht unbedingt auf das Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen ist, mit seinem Lohn quersubventioniert und ein Stück weit Liebhaberei betreibt. Das stimmt ja auch, der Nebenerwerbslandwirt hat somit weniger Wirtschaftsdruck. Häufig sind auch die Flächen und die Maschinen kleiner dimensioniert. Das führt zur Wahrnehmung: weniger Druck und weniger Know-How.

Auf der anderen Seite wird auch immer wieder die besondere Bedeutung der Nebenerwerbslandwirte betont, vor allem hier in Südbaden (Stichwort Bearbeitung von Steilhanglagen, Offenhaltung der Kulturlandschaft). Eigentlich leisten sie ja auch sehr viel, weil sie die Landwirtschaft nach Feierabend, im Urlaub oder am Wochenende bearbeiten. Wie sehen Sie das?

Das stimmt alles. Zusätzlich wird vererbtes Wissen aufrecht erhalten – ein unschätzbarer Wert, der in keiner Schule gelehrt wird und etwas mit Soziokultur und regionalspezifischem Wissen zu tun hat (Sorten, Rezepte, Boden, bestimmte Eigenschaften von Gewannen usw.). Nebenerwerbler bewohnen auch oft noch Gebäude, die aus der Landwirtschaft kommen. Das sind in Dörfern oft Teile historischer Baukultur bzw. hochwertiger dörflicher Strukturen. Der Verkauf solcher Höfe hat häufig sehr unschöne und ungewollte Folgen. Hohe Immobilienpreise tragen dazu bei, dass dort, wo die Landwirtschaft verloren geht, auch die Seele und damit das Dorfleben nach und nach verschwindet.

„Wir können es uns leisten, neue Wege zu beschreiten“

Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt ist, dass es sich Nebenerwerbler aus den oben genannten Gründen leisten können, auch andere Wege zu beschreiten und kleinere Flächen zu bewirtschaf-ten. Das bedeutet im Umkehrschluss mehr Biodiversität. Je kleiner die Schläge, umso höher ist der Anteil an Strukturen, die letztlich Habitate für Hasen, Rehe, Fasane, Vögel, Amphibien und Insekten darstellen. Hochstämmige Obstbäume werden praktisch ausschließlich vom Naturschutz (häufig unsachgemäß) oder von Nebenerwerbslandwirten bewirtschaftet. Für einen Vollerwerbslandwirt ist das schlicht nicht einträglich. Damit übernehmen viele Nebenerwerbslandwirte eine Mitverant-wortung für alle anderen! Sie erhalten Lebensräume, die Vielfalt fördern und somit allen dienen. Leider verstehen das nur wenige.

Gibt es eigentlich Fördertöpfe / Programme speziell für Nebenerwerbslandwirte?

Für die meisten Fördertöpfe sind wir zu klein. Der Aufwand, Antragstöpfe zu finden und Formulare auszufüllen ist katastrophal. Das liegt zum Teil auch an den Zuständigkeiten auf den Ämtern. Die Leute haben oft keinen oder wenig Bezug zur Praxis und sind zwar guten Willens aber eben häufig realitätsfremd. Von der Uni direkt ins Amt ist kein gutes „role model“. Das führt zu vollkommen absurden Situationen. Ich mache z.B. auf Produktionsflächen aktive Biodiversitätsförderung mit Totholzhäufen und Hecken. Eine solche Fläche wurde aber als nicht förderwürdig eingestuft, denn das gilt auf dem Amt als Liebhaberei und wird bestraft. Tragisch, denn das ist genau, was es braucht – eigentlich. Das steht aber noch in keinem Handbuch. Manchmal sind es wohl schlicht organisatorische Gründe warum z.B. Genehmigungen für einen Zaunbau eines Landwirtes bei einem Bauamt liegen. Da kann kein Sachbearbeiter etwas für seine Fachfremdheit – im Ergebnis ist es kontraproduktiv und führt zu einem sich aufsummierenden Frust beim Endadressaten.
Auch das Thema Streuobstförderung ist DAS Beispiel für falsche Anreize: Zwei Rückschnitte pro Baum pro 5 Jahre werden mit jeweils 15 Euro vergütet. Das Obst vergammelt!

Sie sind Landwirt im Nebenerwerb: wieso machen Sie den Spagat zwischen verschiedenen Arbeitswelten?

Zum einen ist es der schönste Beruf der Welt. Draußen arbeiten zu können ist ein Privileg und etwas zu produzieren ist wesentlich befriedigender als Papier oder Speichermedien zu füllen. Es steckt in uns drinnen und löst eine unbeschreibliche Zufriedenheit aus. Es erdet uns, weil wir täglich erfahren wie sehr wir eigentlich abhängig sind vom Wetter, von der Natur. Es lehrt uns Demut und Vergänglichkeit, Werte die das Leben ausmachen.

„Es braucht regionale Alternativen“

Außerdem haben wir eine Verantwortung. Gegenüber unseren Vorfahren, die in vielen Generationen Landwirtschaft betrieben haben und ein Erbwissen aufgebaut haben – das wegzuwerfen wäre falsch und irgendwie auch Verrat. Unsere Kinder sollen etwas mitbekommen, auf unbewusstem, natürlichem Weg. Es braucht integrative, intelligente Ansätze wie wir Menschen uns zukünftig ernähren wollen. Der globale Welthandel hat so viele negative Auswirkungen, die momentan ablaufende Dynamik wird uns in den ökologischen, ökonomischen und sozialen Ruin führen. Dafür braucht es regionale Alternativen. Es braucht Vielfalt auf jeder Ebene – nur das schafft eine gewisse Resilienz, oder Standhaftigkeit gegenüber sich wandelnden Umwelteinflüssen.

Letztlich ist es eine Energiequelle für uns – und je älter man wird, desto mehr schätzt man es, keinen Freizeit- oder Reisedruck zu verspüren und abends nach der Arbeit auf der Couch einzuschlafen, statt sich irgendwelche doofen Fernsehformate um die Ohren zu hauen 🙂

Das Thema Landwirtschaft im Nebenerwerb ist vielschichtig. Wer mehr zu dem Thema lesen möchte, wird beispielsweise hier fündig:

>> Landwirtschaft im Naturpark Südschwarzwald

>> agrarheute: Nebenerwerb: Bauern aus Leidenschaft – Das sind die Fakten

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