Schwarzwälder Tracht – na herzlichen Glückwunsch. Wie originell. Noch eine, die den Bollenhut aus der Tasche zieht – mag der geneigte Leser denken. Weit gefehlt! Denn Tracht im Schwarzwald kann viel mehr und ist viel mehr. So viel, dass es kaum unter einen Hut – oder sollte ich lieber Schäppel schreiben? – zu bekommen ist. Deswegen folgt hier nur eine Übersicht oder besser verschiedene Einsichten, auf jeden Fall aber eine andere Sicht. Die roten Bollen lassen wir heute mal links liegen.

Beim Wort Tracht schalten die Synapsen in der Regel recht schnell: Dirndl, Bayern, Bollenhut – sind die Assoziationen, die vermutlich bei vielen als erstes geweckt werden. Um zunächst meine eigenen Synapsen auf Abwege zu bringen, setzte ich mich diesen Sommer ins Auto und fuhr nach Haslach im Kinzigtal. Dort hat im ehemaligen Kapuzinerkloster das Schwarzwälder Trachtenmuseum Heimat gefunden. Der Werbe-Flyer verspricht nicht zu viel. Tatsächlich finden sich dort die regionalen Trachten in all ihrer Vielfalt und die Vielfalt in all ihrer Pracht. Aber auch in ihrer Wucht. Über 100 verschiedene Trachten sind dort ausgestellt! Hier wurden meine Synapsen eines Besseren belehrt.
Tracht: „Das zu Tisch Getragene“
Aber wo kommt sie denn eigentlich her, die Tracht? Der Kluge, das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, verrät u.a. Verbindungen zu „das, was auf einmal getragen wird“ und „das zu Tisch Getragene“. Tatsächlich war Tracht nicht nur etwas, das an Festtagen getragen wurde. Im Schwarzwald (und sicher auch in anderen Regionen) unterschied man zwischen Alltags-, Sonntags-, und Festtagstracht. Je nach Ort, Konfession und wirtschaftlicher Situation entwickelten sich die bäuerlichen Trachten in verschiedene Richtungen und unterschieden sich teilweise sogar von Ort zu Ort. Was erst im 18. Jahrhundert vermehrt in Erscheinung trat, schwand mit Beginn des 20. zunehemend wieder und wurde durch sogenannte modische Kleidung verdrängt. Heute kennt man Tracht überwiegend von Brauchtumsfeiern oder Folkloreveranstaltungen im Fremdenverkehr. Obwohl in nur drei Gemeinden getragen, hat sich zum touristischen Markenzeichen im Schwarzwald der Bollenhut entwickelt. Aber den wollten wir ja links liegen lassen.

Hier kommt man nicht nur unter die Haube
Apropos Bollenhut. Vor allem die Kopfbedeckungen zeugen von der Vielfalt der Schwarzwälder Tracht. Da gibt es den Schnapphut, die Hornkappe oder den Rosenhut, um nur ein paar Beispiele aus der Riege der Frauen zu nennen. Am beeindruckendsten ist sicher der sogenannte Schäppel, eine bis zu vier Kilo (Region St. Georgen i. Schwarzwald) schwere, aufwendig mit Perlen und Spiegelchen verzierte Kopfbedeckung, auch Brautkrone genannt. Eigentlich ist dieser Begriff aber irreführend, denn der Schäppel gehört zur Wechselform der Schwarzwälder Tracht. Je nach Konfession des Ortes schmückt er den Kopf junger Mädchen nach der Kommunion bzw. Konfirmation an Fest- und Feiertagen. An der Hochzeit wird er das letzte Mal getragen und anschließend von der Haube abgelöst. Den Ursprung des Sprichworts „Unter die Haube kommen“ hätten wir damit auch gleich geklärt.
Hoch geschnürt ist halb getragen – Schwarzwald versus Bayern
Um sich von der Kopfbedeckung ab- und dem Unterschied zu bayerischen Trachten zuzuwenden: Neben langbeinigen Hosen, die die Schwarzwälder Männer im Gegensatz zu ihren kurzlederhosigen Kollegen aus Bayern tragen, unterscheiden sich die Frauen sicher im Latz*. Worin? Im länglich geformten Stoffteil, das geschmückt, meist fein bestickt, unter der sogenannten Nestelverschnürung des Mieders liegt. Einfacher ausgedrückt: Der Unterschied liegt im Ausblick. Denn abweichend vom bekanntermaßen recht tief liegenden Ausschnitt der bayerischen Dirndl geht die Schwarzwälder Frau stets hochgeschlossen. Schäppel und Latz, fehlt nur noch der Goller. Der Halsmantel der weiblichen Bauerntracht, der als runder oder eckiger Schulterkragen, auch hier wieder reich verziert, zu den ältesten Trachtenteilen gezählt werden darf.

Handwerkskunst vom Feinsten
Reich bestickte Krägen und Westen, fein gesäumte Schürzen, perlenbesetzte Hauben, seitenweise könnte ich hier fortfahren – was ich nicht tue. Anstattdessen rufe ich mit Ehrfurcht aus: Was für eine Handwerkskunst steckt hinter all dieser Tracht! Fleißige Näher- und Stickerinnen sowie feinste Handarbeit. Für touristische Marketingzwecke erleben zumindest Teile der Tracht einen großen Aufschwung – gilt das auch für das alltägliche Brauchtum? Zumindest gibt sie es noch, meist Frauen, die das Handwerk ausüben. Die in alte Trachten wieder neues Leben einhauchen oder neue Tracht nach alten Vorlagen unter ihren Fingern entstehen lassen. Walburga Schillinger vom Höfenhof in Schiltach ist Expertin für die sogenannte Lehengerichter Tracht. Ihre Familie zeigt, dass Tracht nicht nur etwas für Museen oder Touristenveranstaltungen ist, sondern, dass sie auch weitergelebt wird. Erst diesen Sommer hat einer ihrer Söhne in der Lehengerichter Tracht geheiratet. Frau Schillinger selbst hat das traditionelle Brautkleid genäht und aufgearbeitet. Ich wollte von ihr wissen, ob sie denkt, dass die Tracht aktuell einen Aufschwung erfährt.
„Wenn sich eine Tracht nicht weiterentwickeln kann, stirbt sie“
„Nein“, lautet die Antwort, das würde sie so nicht erleben. „Tracht ist immer ein Ausdruck einer Region und eines bäuerlichen Standes, geprägt von aktuellen Einflüssen. Wenn sie sich nicht weiterentwickeln kann, stirbt sie.“ Viele Trachtenvereine hätten große Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Und sie ergänzt: Wenn Trachten für ganze Gruppen genäht und hergestellt würden, läge es heutzutage nahe, große Ballen Stoff günstiger für alle zu kaufen. Das berge jedoch auch die Gefahr, in die Uniformität zu rutschen. „Das gab es früher nie“, betont Frau Schillinger. Das eigentlich besondere an der Tracht seien die vielen kleinen Details, die jedes Gewand zu etwas ganz Individuellem machten – eingestickte Initialien, kleine Abänderungen oder herausgearbeitete Besonderheiten. „Das macht Tracht lebendig“.
Also meine Lieben, die letzte Einsicht für heute: Ran an Nadel und Faden, es lebe die Individualität!
Eure Annika Burger
PS: Im Titel fällt auch das Wort Hippe. Hier handelt es sich um ein Kleidungsstück der Frauentracht in der Region Kirchspiel St. Georgen. Die Hippe ist ein schwarzer, ärmelloser Miederrock aus Wollstoff, über der der Schurz getragen wird.
—————
*Nicht jeder Ausdruck wird schwarzwaldweit gleich genutzt. Ein Äquivalent zum Latz wäre z.B. der sogenannte Vorstecker.
Eintauchen in die Vielfalt der Schwarzwälder Tracht – Weiterführende Informationen
Wer die Vielfalt der Schwarzwälder Tracht erleben möchte, dem sei das Schwarzwälder Trachtenmuseum in Haslach im Kinzigtal ans Herz gelegt.
Viele Details, nach Regionen sortiert, lassen sich in der Buchdokumentation Trachtenvielfalt in Baden-Württemberg des Landesverbands der Heimat- und Trachtenverbände Baden-Württemberg e.V. nachlesen. Einen Auszug davon gibt es auch im Internet
Walburga Schillinger ist als Trachtenträgerin, Handwerkerin und Autorin Expertin für die Lehengerichter Tracht. Jeden Winter werden in ihrer Nähstube Teile erneuert, ausgebessert oder auch neu angefertigt. Wer an der Nähstube interessiert ist, klicke auf die Seite Hoefenhof.de
Das Online-Magazin Libellius hat sich ganz dem Schäppel – und den Schäppelmacherinnen gewidmet, spannend zu lesen: Schwarzwälder Handwerkskunst: Besuch bei der Schäppelmacherin